Yahya – 40 Jahre
Nur Sport war Rigas nach dem aktiven Arbeitsleben zu wenig. „Ich wollte auch meinen Kopf fordern und der Gesellschaft etwas zurückgeben.“ Also hat er sein Hobby zum Ehrenamt ausgebaut. Heute leitet er die Radfahrschule beim ADFC München. Auf der Theresienwiese bringt er mit seinem Team erwachsenen Anfängern ehrenamtlich das Fahrradfahren bei.
Ich war jahrzehntelang in einem großen, internationalen Konzern tätig und hatte relativ jung die Möglichkeit, zu sehr guten Bedingungen aus dem bezahlten Berufsleben auszusteigen. Mir war aber von Anfang an klar, dass das Leben nach dem Beruf nicht nur aus Bergwandern, Sport sowie ein paar Hobbys bestehen kann. Der Kopf braucht auf jeden Fall auch etwas zu tun: Wer rastet, der rostet! Ohne echte Aufgaben geht es nicht.
Ich habe nach einer sinnvollen Beschäftigung gesucht, die dem Tag auch ein Stück weit Struktur gibt. Vor allem der Gedanke, anderen Leuten etwas zurückzugeben, war mir sehr wichtig.
Ich bin seit fünf Jahren bei der Radfahrschule für Erwachsene beim ADFC München ehrenamtlich tätig und seit diesem Jahr leite die Schule auch, nachdem ich die Jahre zuvor selbst als Radfahrlehrer aktiv war.
Als ich von der Radfahrschule gehört habe, habe ich erst mal gestutzt, weil ich nicht glauben konnte, dass es Erwachsene gibt, die nicht Radfahren können. Ich habe dann schnell gelernt, dass dem nicht so ist. In vielen Teilen der Welt spielt das Rad keine vergleichbare Rolle wie bei uns.
Wir bieten Radfahrkurse für erwachsene Fahranfänger an. Zu uns kommen Menschen, die entweder nie Rad fahren gelernt haben, es nur ein bisschen spielerisch konnten oder, was auch vorkommt, es mal konnten und nun Jahrzehnte nicht gefahren sind. Wir haben eine sehr breite Altersspanne zwischen unter 20 und über 70 bei den Teilnehmenden.
Rund 90 Prozent sind Frauen. Das hat wahrscheinlich viel damit zu tun, dass die Mehrheit von ihnen nicht in Deutschland aufgewachsen ist, sondern sie meistens eine Einwanderungsgeschichte haben. Es ist de facto so, dass in vielen Ländern der Welt Frauen nicht die Möglichkeit haben, Rad fahren zu lernen. Wenn sie dann in Deutschland leben, wollen sie das nachholen. Ich kann mir kaum ein internationaleres Ehrenamt vorstellen als bei der Radschule.
Gelegentlich haben wir auch Teilnehmende, die sich nach einem Unfall oder einem Sturz nicht mehr aufs Rad trauen und mit unserer Hilfe einen Neuanfang machen wollen. Oder die seit ihrer Jugend nicht mehr gefahren sind und jetzt merken, dass sie es nicht mehr können. Dass man Radfahren nicht verlernen kann, stimmt definitiv auch nicht für jeden und jede.
Im Kurs kommen auf zehn Teilnehmende mindestens zwei Trainer. Wobei zumindest eine Person im Trainerteam immer eine Frau sein muss. Das hat sich sehr bewährt, vor allem, weil wir fast ausschließlich weibliche Teilnehmende in den Anfängerkursen haben.
Wir trainieren mit City-Bikes, bei denen sich die Pedale einfach entfernen lassen. So beginnen wir mit Laufrad-Übungen. Erst, wenn jemand auf dem Laufrad die Balance halten und das Rad abbremsen kann, bekommt er oder sie Pedale. Am Anfang achten wir darauf, dass der Sattel so tief eingestellt ist, dass die Person mit beiden Beinen sicher auf dem Boden stehen kann. Im Lauf des Kurses wird der Sattel dann immer weiter nach oben verschoben.
Wir schulen auf der Theresienwiese. Dort fahren keine Autos, aber es gibt Fußgänger, Hunde und andere Radfahrende. Es ist also ein Stück weit Realverkehr, aber eben ohne Autos. Zudem gibt es auf der Theresienwiese mittlerweile ein Parcours zum Radfahren üben: Fahrspuren, Verkehrsschilder, sogar Autos: Alles ist auf dem Boden eingezeichnet und kann in Übungen eingebaut werden.
Die Kurse der Radschule dauern zwölf Zeitstunden. Danach können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Regel so gut lenken und pedalieren, dass sie ohne uns weiter üben können. Fit für den Straßenverkehr sind viele nach dem Kurs aber noch nicht. Beispielsweise können die meisten zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher mit einer Hand radeln. Du musst aber in der Lage sein, die Hand vom Lenker zu nehmen, um das Abbiegen anzuzeigen. Das gelingt am Anfang nur für einen sehr kurzen Augenblick und muss immer wieder geübt werden. Aus diesem Grund empfehlen wir, nach dem Kurs erst mal im Park oder in sehr ruhigen Seitenstraßen weiter Fahrpraxis zu sammeln.
Das unglaublich Schöne an diesem Ehrenamt ist, in die strahlenden Gesichter der Teilnehmenden zu schauen, sobald sie tatsächlich die ersten Meter erfolgreich los geradelt sind. Viele sind zunächst skeptisch und kommen in der ängstlichen Erwartung, dass das Radfahren sie überfordern wird. Manche haben seit Jahrzehnten den Traum gehabt, Rad fahren zu lernen. Einige der Teilnehmenden haben es vorher erfolglos alleine oder mit Hilfe des Partners versucht. Bei uns kostet der Kurs 120 Euro. Da probieren es die meisten vorher schon mal selbständig aus. Wenn es auf diese Weise aber nicht klappt, dann landen sie bei uns. Die unbändige Freude, die die ersten Erfolgserlebnisse in den Leuten auslösen, diese Momente mitzuerleben, das ist unbezahlbar für uns Ehrenamtliche.
Vor einigen Wochen hat eine Frau im Kurs vor Freude geweint darüber, dass sie jetzt Radfahren kann. Sie wird diesen Tag nie vergessen, versicherte sie.
Drei Monate nach dem Kurs schreiben wir die Teilnehmenden nochmal an und bitten sie, einen Fragebogen auszufüllen, wie es bei ihnen mit dem Radfahren weitergegangen ist. Auf diesem Weg bekommen wir eine sehr große Zahl von berührendem Dankesbekundungen. Für unsere ehrenamtlichen Trainerinnen und Trainer ist das natürlich eine großartige Bestätigung.
Den Kontakt mit Menschen aus der ganzen Welt und das Gefühl, etwas zurückgeben zu können. Zudem interessiert mich das Radfahrthema auch akademisch. Ich habe Psychologie studiert, habe aber dann mein ganzes Berufsleben in der IT verbracht. Nach meinem Ausscheiden bei Siemens habe ich mich bei meinem Berufsverband zum Verkehrspsychologen weitergebildet und dabei auf das Thema Radfahr-Mobilität spezialisiert. So verknüpfen sich akademisches Interesse und Ehrenamt. Das bereitet mir große Freude.
Die Arbeit bei der Radfahrschule des ADFCs erfüllt für mich auch ein Stück weit das Bedürfnis, gebraucht zu werden und in einem Gebiet wieder Experte zu sein. Das ist etwas, das wegfällt, wenn du aus dem Berufsleben ausscheidest. Das lässt sich nicht mit einem Hobby auffangen.
Es ist schon sehr berührend, wenn uns Leute schreiben, dass wir ihnen geholfen haben, sich einen Traum, den sie viele Jahre hatten, zu erfüllen. „Ich fahre jetzt jeden Tag mit dem Fahrrad. Und ich hätte nie gedacht, dass ich das können werde. Und jetzt kann ich’s.“. Solche Zuschriften bekommen wir bei der Radfahrschule immer wieder.
Und wenn diese Aussagen von Frauen kommen, die einfach aufgrund ihres Geschlechts oder aufgrund ihrer geografischen Herkunft das Radfahren nicht lernen durften, dann machen mich solche Erfolgsgeschichten ganz besonders glücklich.
Leider gibt es auch traurige Momente. Beispielsweise hatten wir letztes Jahr die Situation, dass eine Mutter ihren erwachsenen, geistig stark behinderten Sohn bei uns angemeldet hat, ohne uns vorher über seine Einschränkungen zu informieren. Da stoßen wir als Trainer an unsere Grenzen. Wir sind keine Ergotherapeuten und tragen die Verantwortung für die ganze Gruppe. Nur, weil wir bei diesem Trainingstermin ausnahmsweise drei Trainer hatten, konnten wir den jungen Mann einen Teil des Kurses irgendwie mitlaufen lassen.
Zum Beispiel sind Beratungsgespräche wie die bei TATENDRANG eine gute Hilfe, das richtige Ehrenamt zu finden. Ich kenne viele Leute Anfang 60, die jetzt mit dem Arbeiten aufhören – denen empfehle ich immer, einen Termin mit TATENDRANG zu vereinbaren.
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