Meine Mutter war an Demenz erkrankt und ich habe sie ihre letzten Jahre betreut, bevor sie an der Krankheit gestorben ist. Danach begann ich in einem Münchner Altenheim halbtags auf der Demenz-Station. Bis dahin hatte ich mich nie mit dem Thema befasst und wusste nichts über Demenz. Für ein Münchner Pflegeheim absolvierte ich dann die Schulung zum Betreuungsassistenten, da mich die Krankheit interessiert hat und ich mit Menschen gerne zu tun habe. Parallel war ich in einem Münchner Altenheim halbtags in der Abteilung für Menschen mit Demenz. Als Betreuungsassistent habe ich mit den Seniorinnen und Senioren gespielt, Ausflüge gemacht, eingekauft oder ihnen bei der Essenseinnahme geholfen.
Das hat mich ausgefüllt, auch weil ich dabei schöne Geschichten erlebte.
Ich betreute einmal eine ehemalige Opernsängerin. Die saß immer teilnahmslos und schweigsam bei Tisch und konnte nicht selbstständig essen. Ich habe ihr jeden Tag das Frühstück gebracht und anhand ihrer Mimik erkannt, was sie gerne mag. Wenn ich ihr dann Joghurt gebracht habe, hat sie mich angelächelt. Das hatte sie noch nie gemacht.
Einmal beim Frühstück habe ich ihre Hand gehalten und ihr direkt in die Augen geschaut. Dabei habe ich gemerkt, wie sie Vertrauen zu mir aufbaut. Ein anderes Mal habe ich ein Lied gesummt, ganz einfach nur so: „mmh mmh mhh“. Nach zwei-, dreimal hat sie mit gesummt, obwohl sie vorher nie einen Ton von sich gegeben hat. Sie hat gelacht und war total entspannt. Jedes Mal, wenn ich mich am Frühstückstisch zu ihr gesetzt habe, hat sie gelacht, mich erkannt und wieder mehr gegessen als früher. Daraufhin kam der Pflegeleiter zu mir und hat erstaunt gefragt, „wie hast du das geschafft, das hat sie doch noch nie gemacht.“ Ich habe entgegnet,
Das ist Empathie, auf den Menschen eingehen und sich Zeit zu nehmen – anstatt ihm das Essen einfach nur hinzustellen.
Das können die hauptamtlichen Pfleger:innen heute so meist nicht leisten, dafür sind sie zu durch getaktet.
Es gibt allerdings auch unschöne Erlebnisse, bei denen man viel Geduld braucht. Ich bin mal mit einem Herrn spazieren gegangen. Nach 15 Minuten wollte er nicht mehr weitergehen und wollte immer von mir weglaufen. Rote Ampeln hat er dabei ignoriert und ist einfach schnurstracks vor mir weg. Ich bin ihm hinterher und habe ihn angesprochen, dass wir zurückgehen. Ich wollte ihn aufhalten. Einmal habe ich ihn dazu sogar leicht an der Jacke gezupft, um die Richtung zu ändern. Dadurch ist er noch aggressiver geworden, hat gebrüllt und geschrien, dass die Leute mich angeschaut haben, was ich mit ihm mache. Dann bin ich mit ihm gegangen, bis er müde war. Das waren drei Stunden. Ich war auch schon ziemlich fertig. In dem Moment, als ich gemerkt habe, dass ihm die Kraft ausgeht, sagte ich, „deine Frau macht sich langsam Sorgen und wartet mit Kaffee und Kuchen zu Hause“.
Den Einsatz habe ich nach dem Erlebnis nicht mehr gemacht. Das war selbst für mich zu anstrengend. Man hat ja auch Verantwortung für den Menschen. Wenn ich ihn nicht halten kann, er einfach über die Straße rennt und zusammengefahren wird. Das konnte ich nicht riskieren.
Am schlimmsten ist es, wenn ein Mann seiner Frau gegenüber aggressiv wird. Ich hatte einen Fall, da hat die Frau, weil sie sich nicht mehr zu helfen wusste, in der Nacht die Polizei angerufen. Ihr Mann kam direkt in die Psychiatrie nach Haar. Das ist schlimm. Als ich davor bei ihm gewesen bin, war er ganz nett. Ich hätte mir das so nie vorstellen können. Vielleicht hätte er einem Mann gegenüber mehr Respekt als gegenüber seiner eigenen Frau. Ich bin groß und breit. Und ich habe in der Zeit gelernt, wie ich in so Situationen reagieren muss. Ich kann sie so rechtzeitig erkennen, so dass es gar nicht so weit kommt. Ich mache das nun seit sechs Jahren. Das lernt man vieles.