Bei der Alzheimer Gesellschaft München an Demenz erkrankten Menschen helfen

Yahya – 40 Jahre

Werner engagiert sich für Menschen, die an Demenz erkrankt

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Angefangen hat Werners Engagement für an Demenz erkrankte Menschen nach dem Tod seiner Mutter. Vorher wusste er noch nichts über diese schlimme Krankheit. In einem Pflegeheim hat er die Schulung zum Betreuungsassistenten gemacht. Jetzt nutzt er dieses Wissen für seine Ehrenämter bei der Alzheimer Gesellschaft München.

Werner mit seiner Kochgruppe |

Was hat Dich dazu motiviert, freiwillig aktiv zu werden?

Meine Mutter war an Demenz erkrankt und ich habe sie ihre letzten Jahre betreut, bevor sie an der Krankheit gestorben ist. Danach begann ich in einem Münchner Altenheim halbtags auf der Demenz-Station. Bis dahin hatte ich mich nie mit dem Thema befasst und wusste nichts über Demenz. Für ein Münchner Pflegeheim absolvierte ich dann die Schulung zum Betreuungsassistenten, da mich die Krankheit interessiert hat und ich mit Menschen gerne zu tun habe. Parallel war ich in einem Münchner Altenheim halbtags in der Abteilung für Menschen mit Demenz. Als Betreuungsassistent habe ich mit den Seniorinnen und Senioren gespielt, Ausflüge gemacht, eingekauft oder ihnen bei der Essenseinnahme geholfen.

Das hat mich ausgefüllt, auch weil ich dabei schöne Geschichten erlebte.

Ich betreute einmal eine ehemalige Opernsängerin. Die saß immer teilnahmslos und schweigsam bei Tisch und konnte nicht selbstständig essen. Ich habe ihr jeden Tag das Frühstück gebracht und anhand ihrer Mimik erkannt, was sie gerne mag. Wenn ich ihr dann Joghurt gebracht habe, hat sie mich angelächelt. Das hatte sie noch nie gemacht.

Einmal beim Frühstück habe ich ihre Hand gehalten und ihr direkt in die Augen geschaut. Dabei habe ich gemerkt, wie sie Vertrauen zu mir aufbaut. Ein anderes Mal habe ich ein Lied gesummt, ganz einfach nur so: „mmh mmh mhh“. Nach zwei-, dreimal hat sie mit gesummt, obwohl sie vorher nie einen Ton von sich gegeben hat. Sie hat gelacht und war total entspannt. Jedes Mal, wenn ich mich am Frühstückstisch zu ihr gesetzt habe, hat sie gelacht, mich erkannt und wieder mehr gegessen als früher. Daraufhin kam der Pflegeleiter zu mir und hat erstaunt gefragt, „wie hast du das geschafft, das hat sie doch noch nie gemacht.“ Ich habe entgegnet,

Das ist Empathie, auf den Menschen eingehen und sich Zeit zu nehmen – anstatt ihm das Essen einfach nur hinzustellen.

Das können die hauptamtlichen Pfleger:innen heute so meist nicht leisten, dafür sind sie zu durch getaktet.

Es gibt allerdings auch unschöne Erlebnisse, bei denen man viel Geduld braucht. Ich bin mal mit einem Herrn spazieren gegangen. Nach 15 Minuten wollte er nicht mehr weitergehen und wollte immer von mir weglaufen. Rote Ampeln hat er dabei ignoriert und ist einfach schnurstracks vor mir weg. Ich bin ihm hinterher und habe ihn angesprochen, dass wir zurückgehen. Ich wollte ihn aufhalten. Einmal habe ich ihn dazu sogar leicht an der Jacke gezupft, um die Richtung zu ändern. Dadurch ist er noch aggressiver geworden, hat gebrüllt und geschrien, dass die Leute mich angeschaut haben, was ich mit ihm mache. Dann bin ich mit ihm gegangen, bis er müde war. Das waren drei Stunden. Ich war auch schon ziemlich fertig. In dem Moment, als ich gemerkt habe, dass ihm die Kraft ausgeht, sagte ich, „deine Frau macht sich langsam Sorgen und wartet mit Kaffee und Kuchen zu Hause“.

Den Einsatz habe ich nach dem Erlebnis nicht mehr gemacht. Das war selbst für mich zu anstrengend. Man hat ja auch Verantwortung für den Menschen. Wenn ich ihn nicht halten kann, er einfach über die Straße rennt und zusammengefahren wird. Das konnte ich nicht riskieren.

Am schlimmsten ist es, wenn ein Mann seiner Frau gegenüber aggressiv wird. Ich hatte einen Fall, da hat die Frau, weil sie sich nicht mehr zu helfen wusste, in der Nacht die Polizei angerufen. Ihr Mann kam direkt in die Psychiatrie nach Haar. Das ist schlimm. Als ich davor bei ihm gewesen bin, war er ganz nett. Ich hätte mir das so nie vorstellen können. Vielleicht hätte er einem Mann gegenüber mehr Respekt als gegenüber seiner eigenen Frau. Ich bin groß und breit. Und ich habe in der Zeit gelernt, wie ich in so Situationen reagieren muss. Ich kann sie so rechtzeitig erkennen, so dass es gar nicht so weit kommt. Ich mache das nun seit sechs Jahren. Das lernt man vieles.

Wo engagierst Du Dich und was machst Du dort genau?

Ich bin ehrenamtlich für die Alzheimer Gesellschaft (AGM) München tätig. Zum einen betreue ich ehrenamtlich an Demenz erkrankte Senior:innen bei sich zu Hause. Dadurch können die Partner:innen mal Pause machen und neue Kraft tanken. Und dann leite ich vor Ort in der Alzheimer Gesellschaft München alle 14 Tage eine Kochgruppe. Da war ich erst heute wieder. Das Essen war so gut, dass alles aufgegessen wurde. Wir hatten drei Bleche Pizza. Ich habe zwar kein ausgebildeter Koch, aber ich bin leidenschaftlicher Hobbykoch. In meinen fast 70 Jahren habe ich mir viel selbst beigebracht – geholfen haben mir zum Beispiel Kochsendungen im Fernsehen.

Wenn ich ältere Menschen mit Demenz zu Hause betreue – meist sind das Männer – kümmern sich normalerweise deren Frauen sehr liebevoll und mit voller Kraft um ihre Partner. Dabei gehen sie häufig über ihre eigenen Grenzen hinaus.

Wenn ich da bin, können sie mit ruhigen Gewissen die Wohnung verlassen, weil sie wissen, ihrem Mann kann nichts passieren – er läuft nicht weg.

Foto: canvaDiese Frauen können ihren eigen Akku wieder aufladen, indem sie dann mal zwei, drei Stunden aus dem Haus gehen können, wieder Freunde im Café treffen oder bei schönem Wetter die Chance haben, an einen See zum Baden zu gehen. Bei der Krankheit kann es auch Phasen geben, in denen die Männer mal aggressiv werden oder ihre Frauen nicht mehr erkennen. Ich habe erlebt, wie ein Mann sagt, „wer bist denn du?“ Sie antwortet: „Ich bin doch deine Frau – wir leben schon lange zusammen.“  Und er kann das dann nicht glauben. Das ist für die Ehefrau, die sich aufopferungsvoll um ihn kümmert, eine ganz, ganz traurige Situation. Darum ist es schön, wenn ich ihnen eine Pause und Zeit für sich ermöglichen kann.

Welchen Gewinn siehst Du für Dich selbst?

Der größte Gewinn ist für mich, wenn ich den Partner oder die Partnerin entlasten kann. Demnächst bin ich bei einem Senior, dessen Frau zur Taufe des Enkelkindes eingeladen ist. Sie kann ihren Mann aber nicht mitnehmen. Ich passe einen halben Tag auf ihn auf, sodass sie die Taufe im Kreis ihrer Familie feiern kann. Das gibt mir ein richtig gutes Gefühl.

Wenn sie fröhlich und voller Kraft wieder zurückkommt, ist das für mich das Schönste.

Toll ist es, wenn ein Mensch mit Demenz Vertrauen zu mir aufbaut und mich nach ein paar Besuchen wiedererkennt. Man merkt sich ja nur schöne Sachen.

Geld zählt in dem Moment überhaupt nicht, obwohl ich eine Aufwandsentschädigung erhalte. Das glückliche Gefühl der Menschen und ihre Dankbarkeit sind unbezahlbar. Das, was von den Leuten vom Herzen herkommt, ist für mich der schönste Lohn. Es ist die Freude, die die Menschen dann ausstrahlen.

Welches Erlebnis, welche Erfahrung war für Dich besonders überraschend oder berührend?

Im Laufe der Jahre sind leider schon von mir betreute Senior:innen verstorben. Über die Zeit hatte ich zu diesen Menschen eine emotionale Beziehung aufgebaut. Wenn der oder die Erkrankte aus dem Leben scheidet, ist das für den Partner oder die Partnerin ganz, ganz schlimm. Das ist dann auch für mich schwierig. Oft gehe ich mit auf die Beerdigung und denke dann über die schönen Momente unseres gemeinsamen Wegs nach.

Ich habe mal einen Senior betreut, der früher Konzertpianist war. Wegen seiner Demenz hatte er ein paar Jahre nicht mehr gespielt. Doch da bin ich erst nach ein paar Besuchen darauf gekommen, als ich ihn besser kennengelernt hatte. Ich fragte ihn, ob wir mal in den Klavierraum gehen und er mir was vorspielt. Er hat abgelehnt: „Die Zeit ist vorbei, ich kann das nicht mehr.“

Dann habe ich überlegt, wie bringe ich ihn motivieren kann. Beim nächsten Besuch habe ich auf seinen Rollator Noten von Mozart gelegt. Ich sagte ihm, der Klavierraum sei gerade frei und wir können jetzt ganz schnell runter. Wäre ich – wie sonst  – zu ihm ins Zimmer gegangen, hätte er wieder über seine Krankheit gesprochen. Das wollte ich ändern. Ich habe ihn quasi überrumpelt. Erstmal unten angekommen, hat er sich ans Klavier gesetzt und hat angefangen zu spielen.

Es hat ihm Spaß gemacht. Beim ersten Mal war es eine Viertelstunde, mittlerweile spielt er eine ganze Stunde.

(c) canvaInzwischen spielt er die Sinfonie von Mozart durch und unterhält sich dabei mit mir über die Unterschiede zu Beethoven. Ich hatte mich bis dahin noch nie mit klassischer Musik beschäftigt und konnte viel dazulernen. Das ist für mich ein schönes Gefühl, wenn man entspannt daneben sitzt und der Musik zuhört. Eines Tages, während er spielte, hat seine Tochter angerufen und erstaunt gefragt, „ist das mein Papa?“ Ich habe sie am Handy mithören lassen. Sie war erstaunt „Wahnsinn, wie hast du das geschafft. Er wollte nie mehr spielen.“ Beim nächsten Besuch hat er ihr auch vorgespielt. Das war für sie und ihren Papa eine besondere Art zusammenzufinden. Sie konnten sich umarmen, was sie so lange nicht mehr getan haben.

Welche Tipps hast Du für andere Menschen, die sich auch engagieren möchten?

Geduld und Empathie sind wichtig. Man sollte sich mit dem Thema, für das man ehrenamtlich aktiv sein will, ernsthaft auseinandersetzen. Es muss einem Spaß macht. Und wenn man schlecht drauf ist, dann lieber mal einen Tag absagen. Denn die Senior:innen merken das sofort. Insgesamt ist es gut, wenn man ausgeglichen und mit sich zufrieden ist. Ein wenig Lebenserfahrung schadet auch nicht.

Spaß beim Kochen

Alle 14 Tage kocht Werner mit seiner Kochgruppe in der Alzheimer Gesellschaft München. Zusammen mit den dementen Teilnehmer:innen bespricht er, was es geben soll. Sie schreiben den Einkaufszettel und besorgen die Zutaten. Am Kochtag treffen sie sich um 10.00 Uhr. Werner bereitet dann in der Küche alles vor. Die Arbeiten am Herd und Ofen erledigt er selbst, „weil das sonst zu gefährlich ist“. Los geht es mit dem Schnippeln. Bis dann abgespült ist, ist es etwa 14.00 Uhr. In den vier Stunden lachen alle viel miteinander. Nach dem Kochen geht die Gruppe gemeinsam in den Nebenraum – die Pizza essen.

„Es ist eine total lockere Atmosphäre“.

Mit ein paar Sprüchen und Späßen sorgt Werner für gute Stimmung. Die Senior:innen mit Demenz genießen die Gemeinsamkeit beim Essen nach dem Kochen wahnsinnig. „Das ist für sie die Krönung“, sagt Werner. „Dabei sind sie manchmal wie kleine Kinder und schlecken mit dem Finger die Töpfe aus,“ erzählt Werner von seinen Erlebnissen. „Außerdem sind die Erkrankten stolz auf ihre Arbeit.“ Dass das Kindliche immer mal wieder durchkommt, ist bei Menschen mit Demenz ganz normal. Wenn beim nächsten Mal alle wiederkommen, ist das für Werner das größte Lob.

Die Pizza war zum Zeitpunkt des Interviews gerade aufgegessen – leider (Anm. d. Red.).

Engagement-Reporter Serge
Autor:in: Serge Voigt
Gespräch vom: 13.7.2023

Hier ist Werner ehrenamtlich engagiert

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an Demenz erkrankter
Foto: canva
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