Jennifer – 36 Jahre
Als Kind hat Jenni unter Mobbing gelitten und sogar die Schule gewechselt. Heute engagiert sie sich als Social Visionary an Schulen ein. Als Ehrenamtliche arbeitet sie mit Schüler:innen an Lösungsmöglichkeiten, um Mobbing zu vermeiden oder dagegen anzugehen.
Mobbing gibt es überall, fast jede:r kennt Betroffene. Aus meiner persönlichen negativen Erfahrung mit Mobbing zu Schulzeiten wollte ich, etwa zehn Jahre später, etwas Positives machen. Nicht nur für mich, sondern vor allem für Kinder und Jugendliche, die heute zur Schule gehen. Ich war vorher wegen einer Krankheit lange nicht in der Schule. Als ich zurückkam, wollten meine Mitschülerinnen und vor allem meine Freundinnen nichts mehr mit mir zu tun haben. Sie haben mich gezielt ausgegrenzt.
„Gelöst“ wurde das, indem ich zur Oberstufe die Schule gewechselt habe. Das ist ein typischer, aber falscher Weg, so eine Situation aufzulösen. Er stärkt nicht das Selbstbewusstsein der Betroffenen. Vielmehr denken die Betroffenen sie seien das Problem und müssen deswegen weg.
Ich habe bemerkt, dass, obwohl mir das damals passiert ist, ich heute noch nicht weiß, wie gehe ich mit so einer Mobbingsituation um. Was kann ich dagegen tun? Deshalb habe ich mal gegoogelt, welche Möglichkeiten es gibt, auf Mobbing zu reagieren.
So bin ich glücklicherweise auf den Verein Zeichen gegen Mobbing e.V. gestoßen. Der macht an Schulen Präventionsprojekte gegen Mobbing. Der Verein zeigt den Schulkindern, wie sie ihr Miteinander besser gestalten können. So bin ich ins Team gekommen.
Ich bin beim Verein Zeichen gegen Mobbing e.V. als Social Visionary aktiv. Wir nennen uns so, weil wir Visionäre für ein besseres soziales Miteinander sind. Den Verein hat Marek Fink 2017 gegründet, weil er in einer Facharbeit festgestellt hat, dass Mobbing an Schulen ein unterschätztes Phänomen ist. Tatsächlich gibt es an sehr vielen Schulen regelmäßig Gewaltvorkommnisse.
Ich war seinerzeit froh, dass ich noch nicht zu alt war. Social Visonaries dürfen maximal 24 sein, wenn sie mit der Ausbildung für die Arbeit mit den Schülern beginnen. Ziel ist, dass die Leute, die die Workshops an den Schulen machen, noch auf Augenhöhe mit den Kindern sind. Deshalb sind wir an den Schulen höchstens 27 Jahre alt. Wer älter ist, ist trotzdem bei uns willkommen. Es gibt viel zu tun, damit die Projekte überhaupt erst möglich sind.
Zur Prävention von Mobbing veranstalten wir in der Regel einen Projekttag an den Schulen. An dem arbeiten wir mit den Schüler:innen in der Klasse. Das können Kinder in Grundschulen oder an weiterführenden Schulen sein.
Das ganze Projekt kann ein paar Wochen dauern. Es beginnt mit einer Analyse der Ist-Situation an der Schule und der Vorbereitung des Projekttages. Hinterher gibt es noch einen Elternabend als Abschluss. Wir wollen möglichst alle an einer Mobbingsituation Beteiligten erreichen. Sechs Wochen nach dem Workshop erheben wir mit einer Umfrage, was sich geändert hat.
Wir versuchen bestehende Mobbingsituationen anders zu lösen. Die Akteur:innen, wie wir die „Täter:innen“ wertneutral bezeichnen, sind auf Anerkennung aus. Diese erhalten sie im Rahmen des No-Blame-Approachs, indem sie sich zusammen mit anderen Mitschüler:innen für das Wohlbefinden der betroffenen Person verantwortlich machen.
Ich fand es berührend zu sehen, wie Schüler:innen hilflos sagten, das ist doch total blöd, aber was soll ich denn als Außenstehende:r dagegen tun? Diese vermeintlich unbeteiligten Außenstehenden wollen wir motivieren, sich hinter die betroffene Person zu stellen.
Besser als solche Interventionsprojekte ist es, durch Prävention derartige Situationen erst gar nicht entstehen zu lassen. Wir wollen dafür die an einer Mobbingsituation Unbeteiligten, die meist den Großteil einer Klasse ausmachen, motivieren sich für ein besseres Miteinander starkzumachen.
Dazu müssen die Schüler:innen nicht zwangsläufig zwischen die Fronten gehen, auch die Wirkung kleiner Taten ist von unfassbarem Wert. So vorbeugend helfen zu können, fand ich gut. Das wollte ich nach meiner Erfahrung gerne machen, um anderen Schüler:innen eine ähnlich schreckliche Schulzeit zu ersparen.
Die Hauptmotivation für mich war meine eigene rein negativ belegte Mobbingerfahrung, die ich auch heute noch in vielen Punkten spüre. Der möchte ich etwas Positives gegenüberstellen. Ich will die Erfahrung in etwas Sinnvolles umwandeln, indem ich anderen vermittle, nicht einfach nur wegzuschauen, sondern aktiv zu werden, damit sich etwas zum Besseren ändert.
Ich hätte mir nie gedacht, wieder in eine Schule zu gehen. Damit waren nur schreckliche Erinnerungen verbunden. Jetzt finde ich es sehr gewinnbringend, mit den Schüler:innen zu arbeiten.
Da ich ein Fach außerhalb des Schulkontextes studiere, empfinde ich die Arbeit mit den Schulkindern als sehr bereichernd. Ich lerne wieder, mich für junge Menschen verständlich auszudrücken.
Zudem macht das Arbeiten in unserem Team unglaublich Spaß. Die anderen Ehrenamtlichen sind alles sehr engagierte, coole Leute. Niemand ist gezwungen, etwas zu machen, weil er jobmäßig dafür bezahlt wird. Zudem profitiert man später im Berufsleben von den Erfahrungen aus dem Ehrenamt.
Die Workshops sind sehr interaktiv konzipiert. Eine Übung berührt mich immer besonders. Dabei simuliere ich mit einem Softball gezielt eine:n Schüler:in wiederholt zu beleidigen. Die Schüler:innen sollen eine Idee davon bekommen, wie es sich anfühlt, hilflos Gewalt ausgesetzt zu sein.
In einem zweiten Durchgang der Übung dürfen sich alle Schüler:innen im Raum bewegen. Wieder treffe ich gezielt die eine Person. Während anfangs meist alle versuchen, mir auszuweichen, realisieren sie irgendwann, dass sie die betroffene Person schützen können, indem sie sich gemeinsam zwischen mich, die Akteurin, und die:den Betroffene:n stellen. In diesem Moment bitte ich die Schulkinder, in ihrer Bewegung innezuhalten und zu beobachten, was sich verändert hat. Die Erkenntnis, dass jede:r einzelne in der Klasse zur Struktur des Miteinanders beiträgt, berührt mich immer wieder.
Außerdem ist es schön zu sehen, wie sich Betroffene freuen, dass das Thema endlich mal ernst genommen und nicht nach dem Motto: Jetzt stell dich nicht so an, das ist doch nur Spaß, beiseitegeschoben wird.
Für die Betroffenen ist das nämlich kein Spaß, sondern meist bitterer Ernst. Die Rückmeldung zu bekommen, dass es die Leute freut, dass wir da sind und damit eine wichtige Arbeit machen. Das zu sehen, fand ich sehr beeindruckend.
Einfach ausprobieren und den ersten Schritt gehen. Wohin der überall führen kann, zeigt zum Beispiel das Online-Tool zur Suche nach dem passenden Ehrenamt auf der Website von TATENDRANG. Es lohnt sich, auf jeden Fall einfach mal anzufangen. In den Organisationen wird man als Ehrenamtliche:r in der Regel unglaublich warmherzig aufgenommen.
Sie möchten auch aktiv werden? Wir finden das passende Engagement für Sie.